Alles Rum, oder was? Wer Cachaça noch immer für eine Art von Rum hält, hat enormen Nachholbedarf – und zwar nicht allein beim Trinken und Schmecken. Denn es gibt nicht nur einen einzigen kleinen, feinen Unterschied zwischen den beiden Spirituosen. Es gibt mindestens neun solcher Eigenarten, die den Charakter, die Geschichte und allem voran auch den Geschmack jedes der zwei hauptsächlich auf dem südamerikanischen Kontinent beheimateten Getränke entscheidend prägen.
Rum und Cachaça – Weniger Gemeinsamkeiten als gedacht.
Es beginnt bereits beim Namen. Während jeder ganz problemlos „Rum“ sagen kann, muss sich der Cachaça die abenteuerlichsten Abwandlungen seines Namens gefallen lassen. Dabei gibt es für das aus dem Portugiesischen stammende Wort nur eine einzige richtige Variante, die sich am ehesten als „Kaschassa“ umschreiben lässt.
Während wir im deutschsprachigen Raum schon damit immer wieder unsere Schwierigkeiten beweisen, kennt man im Herkunftsland Brasilien mehr als 2000 erstaunliche Synonyme für das hochprozentige Getränk: Dazu gehört der verheißungsvolle Name Herzöffner („abre coração“) ebenso wie verwegenere Bezeichnungen von Augenwäsche („limpa olho“) bis hin zu Tiger-Atem („bafo de tigre“).
Inhaltsübersicht:
Inwieweit diese kreativen Schöpfungen auf persönliche Erfahrungen der Brasilianer zurückgehen, bleibt der Fantasie überlassen. Fest steht jedoch, dass der Cachaça zum Nationalstolz des beeindruckenden Landes mindestens so sehr dazugehört wie Samba oder Fußball.
Hier kommt direkt eine markante Ähnlichkeit zum Rum ins Spiel: Auch dieser entstammt im weitesten Sinne der gleichen Himmelsrichtung und wird mit äußerster Leidenschaft produziert. Beide sind zudem destillierte Alkohole, die aus der Zuckerrohrpflanze gewonnen werden. Die Ähnlichkeit ihrer Zutaten führt immer wieder zu den gängigen Verwechslungen. In den USA wurde Cachaça sogar bis etwa 2015 noch offiziell zu den Rum-Unterarten gezählt.
Neben demselben Ursprung und einer ähnlichen geografischen Lage der Herkunftsländer erschöpfen sich die Gemeinsamkeiten der beiden Spirituosen nüchtern betrachtet jedoch ziemlich schnell. Beiden dürfen weder zusätzlicher Alkohol noch Aromastoffe beigemengt werden. Darüber hinaus aber stellen Rum und Cachaça hauptsächlich Gegensätze zur Schau – ein wenig wie zwei charakterstarke Halbgeschwister mit ganz verschiedenen Lebensgeschichten.
Anzeige (*)
Die neun wichtigsten Unterschiede zwischen Rum und Cachaça.
1. Herkunft – halb Lateinamerika versus Brasilien
Wie bereits angedeutet sind die Heimatländer beider Spirituosen verhältnismäßig nahe gelegen, aber nicht identisch. Während Cachaça rechtlich ausschließlich als Spirituose Brasiliens gilt – und folglich auch nur dort hergestellt werden darf – ist die Produktion von erstklassigem Rum über zahlreiche Länder Süd- und Mittelamerikas sowie die karibischen Inseln verbreitet. Aber: Trotz der geschützten Herkunftsbezeichnung gibt es eine Vielzahl von Cachaças, die sich in ihrer Qualität massiv unterscheiden und häufig zu weiten Teilen einzig den Brasilianern vorbehalten bleiben. Die Vielfältigkeit des Rums ist ohnehin ein offenes Geheimnis.
2. Rohstoffe – Melasse versus frischer Saft
Der wohl bedeutendste Unterschied zwischen den beiden Getränken liegt in ihren Ausgangsstoffen. Zwar werden sowohl Rum als auch Cachaça aus Zuckerrohr gewonnen. Bei Letzterem handelt es sich jedoch um den frischen Zuckerrohrsaft, der vor Ort auch als Garapa bezeichnet wird. Dieser muss, um nicht zu verkommen, innerhalb von maximal acht Stunden weiterverarbeitet werden. Aus diesem Grunde kann der „Brasilianer“ als sehr frisch und ursprünglich betrachtet werden. Rum hingegen entsteht in den meisten Fälle aus sogenannter Melasse. Was ist das? Melasse umfasst die Nebenprodukte der Zuckergewinnung. Auch dabei handelt es sich um Saft des Zuckerrohres, allerdings in erhitzter Form.
Eine interessante Ausnahme stellt der Rum von den französisch verwalteten Inseln wie La Réunion, Martinique, Marie Galante oder Guadaloupe dar. Dieser sogenannte Rhum agricole steht als einziger tatsächlich dem brasilianischen Zuckerrohrbrand näher als klassischem Melasse-Rum. Der Grund ist ganz folgerichtig, denn Rhum agricole wird ebenfalls aus dem ganz rohen und frischen Saft des Zuckerrohrs gewonnen. Als Schlussfolgerung liegt nahe: Verschiedene Ausgangsstoffe und verschiedene Verarbeitungsmethoden müssen nahezu zwangsläufig auch verschiedene Erzeugnisse hervorbringen.
3. Alkoholgehalt – Grenzenlosigkeit versus strenge Obergrenze
Manch einer mag denken, dass es ab einem gewissen Alkoholgehalt auf das eine oder andere Volumenprozent mehr oder weniger auch nicht mehr ankommt. Sowohl die Verantwortlichen der rechtlichen Begriffsbestimmung in Brasilien als auch die Produzenten selbst sehen das allerdings differenzierter. Nach brasilianischer Art muss der Alkoholgehalt für Cachaça genau zwischen 38 und 48 Volumenprozent liegen. Hierzulande sind jedoch hauptsächlich Erzeugnisse mit 42 % und weniger anzutreffen. Während beim Rum der Mindestalkoholgehalt mit 37,5 % vol. kaum von jenem seines brasilianischen Bruders abweicht, ist nach oben hin alles offen. Hier gibt es keine festlegte Obergrenze, es können bis zu 60 Volumenprozent und mehr erreicht werden.
Anzeige (*)
4. Anwendungsgebiete – Tausend und ein Getränk versus Caipi
Unzählige Cocktail-Variationen, die beliebte Mischung mit Cola oder Fruchtsaft oder auch ganz pur: Rum bietet schier endlose Möglichkeiten für immer neue Genussmomente. Auf eine solche Idee würde mit Cachaça wohl niemand kommen. Er findet hierzulande ausschließlich für Caipirinha Verwendung – mehr ist damit im Grunde nicht üblich. Wer weitere Facetten des Zuckerrohrbrands entdecken will, muss schon nach Brasilien reisen. Die Brasilianer kennen eine bunte Mischung unterschiedlichster Kreationen mit ihrer Lieblingsspirituose. Dazu gehören neben dem bekannteren Batida etwa Jaguar Milk, Rabo De Galo, Hot Stuff oder Caju Amigo. Schon einmal probiert?
5. Ursprung – 17. Jahrhundert versus 1532
Nicht einmal ihr Geburtsjahr lässt auf wirkliche Zwillinge oder auch nur nahe Geschwister schließen. So sind sich Experten einig, dass die Wurzeln von Cachaça in Sao Vicente zu suchen sind und schätzungsweise in etwa auf das Jahr 1532 zurückgehen. Damals erblickten die ersten Zuckermühlen in Brasilien das Licht der Welt. Die Anfänge des Rums hingegen sind im frühen 17. Jahrhundert zu verorten, und zwar als erfreuliche Randerscheinung der boomenden Zuckerindustrie in den britischen Kolonien der karibischen Inseln.
6. Reifung – Eichenfässer versus brasilianische Hölzer
Nach dem Brennen gelangen die besseren Sorten von Cachaça zur Reifung für mehrere Monate oder sogar Jahre ins Holzfass, während günstigere Varianten sogar unverändert zum Direktverkauf angeboten werden. Für den Reifeprozess stehen mehr als 20 verschiedene brasilianische (Tropen-)Hölzer zur Verfügung, die der Fasslagerung die Basis bieten. Eichenholz ist nur eines davon. Beim Rum hingegen gehört ein Eichenfass zum Goldstandard. Da die jeweiligen Holzarten bekanntlich starken Einfluss auf den endgültigen Geschmack ausüben, ist es nur logisch, dass derart ausgeprägte Unterschiede in der Lagerung am Ende zwei verschiedenartige Erzeugnisse hervorbringen.
Aber schon bevor es ins Fass oder eben wahlweise in den Verkauf geht, schlagen die beiden Destillate verschiedene Wege ein. Zunächst müssen beide eine Zeitlang in Stahltanks verbringen. Dort werden sie mit Sauerstoff behandelt, sodass sich unerwünschte Begleitalkohole zersetzen. Davor aber zeigen sich bei der Fermentierung deutliche Abweichungen, die klare Rückschlüsse darauf zulassen, um welches Getränk es sich handelt.
Die Hersteller von Cachaça leiten die Gärung der zur Fermentierung nötigen Hefestämme gerne mit Fermentations-Beschleunigern ein. Solche chemischen Hilfsmittel, meist aus Kleie, Mehl, Zuckerrohrsaft und Maisstärke, kommen beim Rum nicht in Frage. Es gibt zwar auch Sorten, deren Fermentierung mit sogenannter Industriehefe angekurbelt wird. Grundsätzlich legen die meisten Hersteller aber immensen Wert auf ihre teils über Generationen selbst gezüchteten Hefestämme.
7. Zuckerzusatz – nein versus ja
Falls alle bisherigen Kriterien noch Zweifel zulassen sollten, kommt hier ein Unterschied, der den brasilianischen Zuckerrohrbrand zwingend aus der Abteilung Rum ausschließt. So dürfen dem fertigen Cachaça-Destillat je Liter noch bis zu 30 Gramm Zucker hinzugefügt werden. Beim Rum wäre dies, ebenso wie eine Zugabe von Aromen oder ergänzendem Alkohol, absolut untersagt.
Anzeige (*)
8. Geschmack – süßlich versus erdig
Wer noch nicht beide der Spirituosen probiert hat, stellt sich diese Frage wahrscheinlich schon die längste Zeit. Und Kenner wissen es: Selbstverständlich wirken sich all diese Unterschiede auch intensiv auf den Geschmack aus. Das süßliche Aroma von echtem Rum mit seinen karamelligen Anklängen geht aus der zugrunde liegenden Melasse hervor und ist kaum zu verwechseln mit der kernigeren Note von Cachaça. Hier sorgt der rohe Zuckerrohrsaft vielmehr für eine trockene, würzige und leicht fruchtige Komposition.
9. Image – Genießer-Riege versus Cocktail-Könner
Sowohl in Brasilien als auch in der restlichen Welt weichen die beiden vermeintlich so ähnlichen Spirituosen stark in ihrem Image voneinander ab. In seinem Herkunftsland gilt Cachaça als erste Wahl, wenn es um den guten günstigen Rausch geht. Da er international hauptsächlich in Cocktails, allen voran dem Caipi, serviert wird und pur für die meisten Gaumen nur schwer mit seinem Aroma punkten kann, hat der Brasilianer nicht das Renommee der ersten Genießer-Riege, wie es zweifelsohne jedem guten Rum mit seiner feinen Süße eigen ist. Das wiederum bedeutet allerdings nicht, dass im Handel nicht auch echte Gourmet-Cachaças zu finden sind, die die Feinschmecker-Regale ebenso bereichern wie ein edler Rum.
Fazit: Cachaça ist kein brasilianischer Rum
Genau betrachtet – und genau verkostet – erweisen sich Rum und Cachaça als sehr ungleiche Brüder. Obwohl beide aus derselben Pflanze gewonnen werden und in der Herstellung einige Ähnlichkeiten aufweisen, handelt es sich dennoch um zwei völlig unterschiedliche Spirituosen. Jede für sich besitzt einen starken Charakter, dessen intensives Entdecken, Genießen und facettenreiches Erleben sich lohnt.